Hinter der Absperrung: Wie Abfalllagerung zur Sicherheitsfrage wird

Deponieverordnung regelt sichere Zwischenlagerung von Abfallballen auf Aussenflaechen mit Verladetechnik im Industriebereich

Abfalllagerung ist selten ein Thema, das Schlagzeilen macht – bis etwas schiefläuft. Ein brennendes Fass, eine kontaminierte Fläche, eine anonyme Anzeige: Dann ist plötzlich klar, dass betriebliche Sicherheit nicht mit einem Feuerlöscher beginnt, sondern viel früher. Nämlich dort, wo Stoffe aufbewahrt werden, die man loswerden will – aber nicht einfach kann. Genau hier spielt die Deponieverordnung eine oft übersehene Rolle. Sie regelt nicht nur, wie und wo Abfälle endgelagert werden dürfen, sondern auch, was vorher passieren muss. Und genau diese Vorstufen bergen gewaltige Risiken.


Lager ist nicht gleich sicher – worauf es ankommt

Was in vielen Betrieben als temporäre Lösung beginnt, endet nicht selten als chronisches Sicherheitsproblem: Zwischenlager für Produktionsrückstände, kontaminierte Verpackungen oder Chemikalienreste werden improvisiert betrieben, schlecht dokumentiert oder schlichtweg vergessen. Dabei gelten klare Anforderungen an die Kennzeichnung, die Abdichtung, den Brandschutz und die regelmäßige Kontrolle solcher Lagerbereiche.

Entscheidend ist nicht nur, dass ein Lager physisch existiert – sondern wie es in den betrieblichen Ablauf eingebettet ist. Fehlt das Sicherheitskonzept, sind auch Brandschutzpläne, Alarmwege und Mitarbeiterschulungen oft lückenhaft. Besonders bei sogenannten „nicht gefährlichen Abfällen“ wird oft geschlampt – was tragische Folgen haben kann, wenn aus einem „harmlosen“ Stoff durch falsche Lagerung ein brandförderndes oder giftiges Gemisch wird.

Verantwortung endet nicht am Containerrand

Viele Unternehmen verlassen sich auf externe Entsorger – und glauben, damit aus dem Schneider zu sein. Doch die Sorgfaltspflicht endet nicht mit der Unterschrift auf dem Abholschein. Wer Abfälle erzeugt, ist bis zur finalen Entsorgung verantwortlich – und haftet auch für Fehlverhalten von Subunternehmen, wenn die Kontrollmechanismen fehlen. Genau hier setzt die Deponieverordnung in einem ihrer strengsten Aspekte an: Sie verlangt Nachweise, Dokumentationen und Kontrollen über alle Entsorgungsstufen hinweg.

Das bedeutet auch: Wenn beim Transport ein Fass ausläuft oder bei der Lagerung ein Feuer entsteht, wird zuerst gefragt, ob der Betrieb seine Pflichten erfüllt hat – nicht der Entsorger. Und genau das macht Lagerorganisation zur Kernfrage betrieblicher Sicherheit.

Deponieverordnung verpflichtet Erzeuger zur Nachverfolgung der Entsorgung durch kontrollierte Logistik und Transportfahrzeuge

Sicherheit ist messbar – aber nicht immer sichtbar

Die größten Risiken entstehen oft nicht durch böswillige Fahrlässigkeit, sondern durch Unwissen. Viele mittelständische Unternehmen wissen schlicht nicht, welche Stoffe als „gefährlich“ gelten oder welche Lagermengen besondere Schutzmaßnahmen erfordern. Auch die Einteilung in Abfallarten und -gruppen ist komplex, und Änderungen in den rechtlichen Vorgaben passieren oft leise. Die Deponieverordnung ist dabei nur eine von mehreren Regelwerken – aber sie bündelt viele Anforderungen, die sich auf die Lagerpraxis auswirken.

Eine regelmäßige Risikoanalyse, die systematische Schulung der Mitarbeitenden und die Prüfung durch externe Sachverständige können nicht nur Unfälle vermeiden, sondern im Ernstfall auch als entlastender Nachweis dienen.

Zwischen Ökonomie und Ordnung – wenn Effizienz zur Gefahr wird

In der Praxis steht die Sicherheit oft unter wirtschaftlichem Druck. Abfälle verursachen Kosten, Platzverbrauch, Verwaltungsaufwand. Also wird gepresst, gestapelt, optimiert. Doch wer Stoffe zu lange lagert oder unsachgemäß zusammenführt, spart an der falschen Stelle. Denn bei Zwischenfällen drohen nicht nur Bußgelder, sondern auch Produktionsausfälle, Imageverlust und strafrechtliche Konsequenzen.

Insbesondere bei Sanierungen, Anlagenerweiterungen oder bei der Umstrukturierung von Produktionslinien ist besondere Vorsicht geboten: Alte Lagerflächen werden gern „mitbenutzt“, Sicherheitskonzepte nicht aktualisiert, Abläufe nicht neu bewertet. Genau hier entstehen blinde Flecken.

Checkliste: Sichere Abfalllagerung im Betrieb

Was wirklich kontrolliert werden sollte – Punkt für Punkt

✅ Erledigt? Sicherheitsaspekt überprüfen
Gibt es einen aktuellen Lageplan für alle Abfalllagerbereiche?
Sind alle Abfallarten korrekt beschriftet und nach Gefahrstoffklassen sortiert?
Wurde die maximale Lagermenge gemäß gesetzlicher Vorgaben geprüft?
Liegt eine Bewertung nach Deponieverordnung für die relevanten Stoffe vor?
Sind Brandschutzmaßnahmen (Feuerlöscher, Abstand, Belüftung) dokumentiert?
Gibt es einen Alarmplan bei Zwischenfällen im Lagerbereich?
Werden Mitarbeitende regelmäßig im Umgang mit Abfällen geschult?
Wurden Entsorger und Transportfirmen auf ihre Zulassungen hin überprüft?
Wird die Lagerfläche regelmäßig auf Lecks, Rost und Schäden kontrolliert?
Sind externe Prüfungen oder Audits im letzten Jahr erfolgt?

🔎 Tipp: Wer mehrere Standorte betreibt, sollte diese Checkliste individuell je Anlage ausfüllen und digital archivieren – das erleichtert interne Audits und Behördennachweise erheblich.

Deponieverordnung erfordert dokumentierte Kontrolle der Abfalllagerung durch Sicherheitsfachkraft in Recyclinghalle


Interview: „Der Stoff bleibt nie dort, wo er soll – wenn niemand hinsieht“

Im Gespräch: Claudia Menrath, Sicherheitsbeauftragte eines mittelständischen Chemieunternehmens mit drei Standorten in Deutschland. Seit über 15 Jahren kümmert sie sich um Sicherheitsmanagement, Gefahrstofflogistik und interne Schulungsprogramme.

Frau Menrath, wie haben sich die Anforderungen an die betriebliche Abfalllagerung in den letzten Jahren verändert?

Menrath: Drastisch – und gleichzeitig leise. Viele denken, es gehe nur um strengere Regeln, aber es hat sich vor allem das Risiko verändert. Die Stoffvielfalt nimmt zu, Lagerzeiten verlängern sich, und die Behörden prüfen genauer. Früher wurden Container einfach „weggestellt“, heute reicht das nicht mehr. Jeder Lagerort muss einem Konzept folgen – und das sollte dokumentiert, geprüft und im Ernstfall vorzeigbar sein.

Wo sehen Sie aktuell die größten Sicherheitslücken in der Praxis?

Menrath: Ganz klar in der Übergangszone zwischen Produktion und Entsorgung. Viele Betriebe haben klare Prozesse für Rohstoffe und Endprodukte, aber beim „Müll“ wird’s diffus. Rückstände werden in provisorischen Bereichen gesammelt, manchmal von ungelerntem Personal. Kein Schild, keine Abdichtung, keine Schulung – und dann wundert man sich über Lecks oder Reaktionen. Und das gilt nicht nur für kleine Firmen.

Was müsste konkret besser laufen?

Menrath: Verantwortlichkeiten. In vielen Unternehmen weiß niemand, wer für die Abfalllagerung zuständig ist – und wenn doch, hat diese Person keine Entscheidungsbefugnis. Ich bin der Meinung: Wer Sicherheitsverantwortung trägt, muss auch sagen dürfen, was geht und was nicht. Wenn ein Fass falsch steht, braucht es kein Protokoll, sondern jemanden, der es sofort umstellen lässt – und das darf nicht am Organigramm scheitern.

Wie gehen Sie intern mit dem Thema um?

Menrath: Wir fahren ein System mit monatlicher Sichtkontrolle, zwei ungeplanten Audits im Jahr und einer digitalen Lagerdokumentation. Jeder Standort meldet per App, was eingelagert wurde, mit Foto und Stoff-ID. Wir arbeiten mit QR-Codes, die auf jedem Gebinde kleben. So sehen wir sofort, ob etwas zu lange steht oder falsch gelagert ist. Und wir schulen jedes Jahr alle Mitarbeitenden neu – nicht nur die Techniker, auch die Verwaltung.

Welche Rolle spielt die Deponieverordnung dabei?

Menrath: Sie liefert die verbindlichen Leitplanken. Viele denken, das sei nur etwas für Müllbetriebe oder öffentliche Deponien, aber das stimmt nicht. Sie greift schon viel früher – etwa wenn Schadstoffe klassifiziert oder Lagerfristen berechnet werden. Wenn wir uns danach richten, sind wir nicht nur rechtlich sicher, sondern auch vorbereitet. Wer erst bei der Anlieferung zur Deponie merkt, dass die Dokumentation unvollständig ist, hat ein echtes Problem.

Gibt es ein Ereignis, das Sie besonders geprägt hat?

Menrath: Ja. Vor acht Jahren gab es bei uns einen Zwischenfall: Ein Fass mit neutralisiertem Säurerest war falsch etikettiert, stand zu lange draußen und ist bei Frost aufgeplatzt. Es war nichts Lebensgefährliches, aber die Feuerwehr musste anrücken, das Gelände wurde gesperrt, die Presse war da. Und das nur, weil niemand nachgefragt hatte, was im Fass eigentlich drin ist. Seitdem nehmen wir das Thema so ernst, wie es sein sollte.

Was möchten Sie Unternehmen mitgeben, die gerade ihre Sicherheitskonzepte überarbeiten?

Menrath: Reden Sie mit Ihren Leuten. Oft wissen die Mitarbeitenden ganz genau, wo es hakt – sie sagen es nur nicht, weil sie denken, es sei nicht ihr Job. Machen Sie es zu ihrem Job. Und stellen Sie sicher, dass jemand den Überblick hat, vom Einlagern bis zur Abholung. Denn gefährlich wird’s immer dann, wenn niemand mehr hinsieht.


Kein Entkommen – nur Prävention

Moderne Sicherheitskultur in der Industrie beginnt nicht beim Arbeitsschutzhelm – sondern bei der Art, wie mit scheinbar „ausgedienten“ Stoffen umgegangen wird. Abfalllagerung ist ein Brennpunkt, an dem Umweltrecht, Arbeitssicherheit und betriebliche Realität aufeinanderprallen. Wer hier klar strukturiert, dokumentiert und vorbeugt, schützt nicht nur Menschen und Umwelt, sondern auch das Unternehmen selbst – nachhaltig, rechtssicher und zukunftsorientiert.

Bildnachweis: fotogurmespb, schiers_images, tong2530 / Adobe Stock